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Das Stelleninserat als Konjunkturindikator

Ein NF-Projekt untersucht die strukturellen Veränderungen im Arbeitsmarkt

Von Matthias Kunz und Stefan Sacchi*

In der Schweiz ist das Stelleninserat das am häufigsten eingesetzte Mittel der Personalsuche. Ein Forschungsprojekt, das eine systematische Auswahl von Stellenanzeigen der letzten 50 Jahre heranzieht, geht u. a. der Frage nach, wie sich die betrieblichen Anforderungen, etwa an die Qualifikation der Mitarbeiter, langfristig verändert haben.

Ungeachtet des teilweise akuten Personalmangels vieler Unternehmen ist die Erwerbslosigkeit in den letzten Jahren auf einem zumindest für schweizerische Verhältnisse ungewohnt hohen Niveau verharrt (NZZ 29. 9./30. 10. 01). Offenbar, so lässt sich schliessen, gab es an sich durchaus genügend offene Stellen, deren Anforderungen die vielen Erwerbslosen indessen nicht erfüllten. Grundsätzlich sind die dafür massgeblichen Veränderungen des betrieblichen Qualifikationsbedarfs vor dem Hintergrund eines beschleunigten technologischen und organisatorischen Wandels zu sehen, dessen Wirkungen zudem von konjunkturellen Schwankungen überlagert werden. Erstaunlich wenig ist aber darüber bekannt, wie sich die betrieblichen Anforderungen, etwa an die formalen Qualifikationen, langfristig genau verändert haben und welche Bestimmungsgründe im Einzelnen dafür ausschlaggebend sind.

Ein Forschungsprojekt, das eine breit angelegte, systematische Auswahl von Stelleninseraten aus den vergangenen 50 Jahren für ein Langzeit-«Monitoring» des betrieblichen Qualifikationsbedarfs heranzieht, soll helfen, diese Fragen besser zu beantworten. Stelleninserate haben eine ganze Reihe von Eigenschaften, die sie für diesen Typ empirischer Forschung prädestinieren: Sie sind in grosser Zahl vorhanden, öffentlich zugänglich, und sie werden über lange Zeiträume archiviert. Zudem handelt es sich um eine relativ standardisierte Textsorte, die regelmässig Informationen zur ausgeschriebenen Stelle, insbesondere zur Tätigkeit, zum Betrieb (etwa zur Branche) und zur gesuchten Person (Ausbildung, Alter usw.) umfasst.

44% der Jobs werden ausgeschrieben

In der Schweiz ist das Stelleninserat das am häufigsten eingesetzte Mittel der Personalsuche. Nach einer im Jahre 1996 durchgeführten repräsentativen Befragung von Schweizer Firmen wurden damals nicht weniger als 44% der offenen Stellen öffentlich ausgeschrieben. Wird in Rechnung gestellt, dass die Unternehmen seither mehr Mühe hatten, genügend qualifiziertes Personal zu finden, so dürfte sich dieser ohnehin eindrückliche Insertionsanteil inzwischen noch weiter erhöht haben. Die Studie belegt nämlich auch, dass offene Stellen umso eher öffentlich ausgeschrieben werden, je schwieriger sie zu besetzen sind. Im Wesentlichen können dabei zwei Typen von schwer zu besetzenden Stellen unterschieden werden: Auf der einen Seite stehen anforderungsreiche Stellen für erfahrene Berufsleute, Spezialisten und Kader, die zudem oft über neuartige und daher noch rare Qualifikationen verfügen sollen, auf der anderen Seite sind eher anspruchslose Jobs mit unattraktiven Arbeits- und Anstellungsbedingungen zu finden. Erstere sind auch deshalb schwer zu besetzen, weil es sich meist um Stellen in expandierenden Tätigkeitsfeldern mit entsprechend gesteigertem Personalbedarf handelt. Die anspruchslosen, aber unattraktiven Jobs sind zwar eher seltener geworden, müssen aber wegen der hohen Personalfluktuation häufiger neu besetzt werden, was die Zahl der Inserate von von Betrieben aus strukturschwachen Branchen und Randgebieten überproportional in die Höhe treibt.

Im Lauf der vergangenen 50 Jahre avancierten Stelleninserate zum Königsweg der Personalrekrutierung, wobei sie sich auch massiv verteuert haben. Zwei Gründe waren für die Erhöhung der Insertionskosten ausschlaggebend: Einerseits konnten die Printmedien auf Grund der regen Nachfrage ihre Inseratpreise kontinuierlich erhöhen, andererseits haben auch die stetig anwachsenden Inserateflächen die Kosten in die Höhe getrieben. Die Bereitschaft der Unternehmen, stets höhere Auslagen für die Ausschreibung von offenen Stellen zu tätigen, ist dabei vor dem Hintergrund des lang anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs der Nachkriegszeit zu sehen, mit dem das Werben um knappe Fachkräfte zu einer anspruchsvollen Aufgabe geworden ist.

Damit hat sich das Bewusstsein für eine professionelle Stellenausschreibung geschärft, was bereits in den fünfziger Jahren zu einer Verabschiedung des damals üblichen (und billigen) Chiffreinserats geführt hat. Seitdem sind die Inserate mit einer inhaltlich zunehmend differenzierten und formal immer anspruchsvolleren «Botschaft» ausgestattet worden. Im Zuge dieser Modernisierung werden nicht bloss exaktere Stellen- und Tätigkeitsbeschreibungen üblich, vielmehr bauen die Firmen das Stelleninserat vermehrt zum eigentlichen Werbe- und Imageträger aus: Die Personalsuche und die Werbung für Produkt und Unternehmen rückten im Stelleninserat immer näher zusammen.

Sensibler Gradmesser

Zwischen Wirtschaftsentwicklung, Arbeitsmarktlage und dem Volumen der ausgeschriebenen Stellen besteht ein enger Zusammenhang, weshalb die Zahl der ausgeschriebenen Stellen einen ausgezeichneten Konjunkturindikator abgibt. Gerade in Phasen einer wirtschaftlichen Trendwende schlagen die veränderten Zukunftserwartungen der Betriebe und ihre entsprechend angepasste Nachfrage nach Personal sehr frühzeitig und direkt auf den Stelleninseratemarkt durch. So hat der Inseratemarkt etwa die grossen wirtschaftlichen Einbrüche der Jahre 1974 und 1991 überraschend klar vorweggenommen.

Stelleninserate sind ein sensibler Gradmesser nicht nur für den konjunkturellen, sondern auch für den strukturellen, langfristigen Wandel der Nachfrage nach Arbeitsqualifikationen. So lässt sich etwa zeigen, wie sich die durchschnittlichen Qualifikationsanforderungen der ausgeschriebenen Stellen im Verlauf der letzten fünf Jahrzehnte nach und nach immer weiter erhöht haben. Zum einen verschwinden dabei viele Stellenangebote für Personen ohne Berufslehre, zum anderen nimmt zugleich der Anteil der Inserate zu, in denen explizit höhere oder zusätzliche Qualifikationen verlangt werden. Dies bedeutet ein Schrumpfen des «Jedermann-Arbeitsmarktes», während sich bei den anspruchsvollen Stellen zugleich eine verstärkte Aufspaltung des Arbeitsmarktes in kleinere Teilsegmente abzeichnet, die jeweils für spezialisierte Fachkräfte mit genau definierten Ausbildungen reserviert sind.

In grossen Zügen folgt der langfristige Wandel der verlangten Qualifikationen dabei den bekannten Veränderungen der Branchen- und Berufsstruktur: Insbesondere die Expansion anspruchsvoller Dienstleistungsbereiche und der gleichzeitige Rückgang von Land- und Hauswirtschaft sowie von Teilen der Industrie spiegeln sich überaus deutlich auch im Inseratemarkt. Die in unterschiedlichen Phasen der Wirtschaftsentwicklung dominierenden Wachstumsbereiche und das Profil der jeweils geschaffenen Stellen lassen sich indes wesentlich genauer identifizieren als bisher. Dabei zeigt sich, dass der langfristige wirtschaftliche Strukturwandel in der Rezession der siebziger Jahre stark gebremst wurde - plötzlich suchten fast nur noch traditionelle Betriebe aus strukturschwachen Binnensektoren Personal. Demgegenüber zeigte der Konjunktureinbruch der neunziger Jahre einen gänzlich anderen Charakter: Trotz einem vergrösserten Angebot an Arbeitskräften und einer zurückhaltenden Konsumentenstimmung setzte sich in dieser Dekade der Strukturwandel nahezu ungebremst fort.

Die Unternehmen nutzen die Inserate aber nicht nur, um Stelle und Qualifikationsanforderungen zu beschreiben. Vielmehr werden nicht selten auch spezifische Erwartungen an die Arbeitstugenden und an die persönliche Lebenseinstellung der gesuchten Person formuliert, die man als extrafunktionale Qualifikationen bezeichnen kann. Deren Analyse gehört zu den besonders reizvollen Aspekten dieser Form der Arbeitsmarktforschung und ermöglicht neue Perspektiven auf die veränderte normative Bedeutung der Arbeit und die gewandelten Arbeitsbeziehungen. Diese «Soft Skills» lassen sich mittels computergestützter Inhaltsanalyse zu eigentlichen «Charakterstudien» verdichten, die ihrerseits Einblick in die psychologischen und kulturellen Voraussetzungen einer gut funktionierenden modernen Arbeits- und Leistungsgesellschaft gewähren.

Erste Auswertungen für den Beobachtungszeitraum von 1950 bis 2000 stützen die These, dass sich in den Stelleninseraten eine Abkehr von Pflicht- und Akzeptanzwerten zugunsten einer Aufwertung von Autonomie und Selbstverwirklichung in der Arbeitswelt niederschlägt. Je weniger in den Stelleninseraten der Verpflichtungs- und Zwangscharakter der Arbeit hervorgestrichen wird, desto stärker werden die ausgeschriebenen Tätigkeiten als individuelle Herausforderung oder Chance charakterisiert. Die Arbeitgeber versuchen vermehrt, individuelle Entfaltungs- und Entwicklungsbedürfnisse für die Zielsetzungen des Betriebs zu vereinnahmen. Dieser Trend hin zu einer verstärkten Identifikation wiederum erfordert Arbeitsverhältnisse, die hierarchische Unterordnung durch verstärkte soziale Integration in ein Team ersetzen. Die in heutigen Inseraten angebotenen Aufgaben sollen immer öfter auch «Spass und Freude» bereiten, was als Indiz gewertet werden kann, dass individuelle Ressourcen und Motivationen mehr zählen als auch schon.

Das Internet als Konkurrenz zur Zeitung?

Mit dem Aufkommen des Internets steht der Stelleninseratemarkt seit Ende der neunziger Jahre als relevanter Werbe- und Einnahmefaktor der Printmedien stark unter Druck. Tatsächlich haben die elektronischen Stellenbörsen beziehungsweise firmeneigenen Stellenausschreibungen auf dem Internet den Zeitungen bereits ein gewichtiges Stück aus dem lukrativen Kuchen des Stellenanzeigemarktes entrissen, offen ist einzig die Frage nach dem Umfang der Verlagerung. In einer repräsentativen Befragung von 1000 Unternehmen des privaten und öffentlichen Sektors, die im Januar 2001 im Rahmen dieses Forschungsprojekts durchgeführt wurde, zeigte sich, dass die firmeneigene Homepage als Rekrutierungskanal vor allem bei Betrieben der Maschinen-, Metall- und Elektroindustrie, Banken und Versicherungen bereits eine wichtige Rolle spielt. Neben den Branchenunterschieden stellte sich zudem ein Zusammenhang mit der Betriebsgrösse heraus: Bei Grossfirmen ist die Mitarbeiterrekrutierung via Internet selbstverständlich, bei den kleinsten Betrieben hingegen quasi inexistent.

Klar ist, dass vor allem grössere, renommierte Firmen mit aktiver Internet-Präsenz offene Stellen künftig verstärkt auf der eigenen Homepage publizieren werden. Demgegenüber dürften kleinere Betriebe schon aus Kostengründen eher auf bestehende Internet-Stellenbörsen zurückgreifen. Ob die Personalsuche via Internet die Inserate in den Printmedien weitgehend ersetzen oder eher ergänzen wird, ist noch schwierig abzuschätzen. Sicher ist, dass ein repräsentatives Monitoring des betrieblichen Qualifikationsbedarfs, das mittelfristig nicht nur für retrospektive Analysen, sondern auch prospektiv im Sinne eines Früherkennungssystems eingesetzt werden soll, den gewandelten technologischen Randbedingungen des Stellenmarkts Rechnung tragen muss.

* Matthias Kunz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen Institut der Universität Zürich, Stefan Sacchi ist Oberassistent an der Professur für Soziologie der ETH Zürich.

erschienen in: Neue Zürcher Zeitung, Ressort Mensch und Arbeit, 30. Januar 2002, Nr.24, Seite 73

     
 

 

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