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Ausbildungsanforderungen im konjunkturellen und strukturellen Wandel 1950 - 2000

von Alexander Salvisberg (2001)

1. Der Stellenmarkt als Spiegel des konjunkturellen Wandels der Arbeitswelt
2. Wandel der Nachfrager: die Branchenstruktur 1950 - 2000
3. Wandel der Qualität der Nachfrage: Ausbildungsanforderungen
4. Beispiel: Stellenangebot und Ausbildungsanforderungen in der Textilindustrie

Im vorliegenden kurzen Beitrag werden Entwicklungen des konjunkturellen und strukturellen Wandels im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Ausbildungsanforderungen auf dem Stellenmarkt skizziert.
Dazu soll erstens gezeigt werden, wie das Stellenangebot als Ganzes auf kurzfristige konjunkturelle Schwankungen reagiert. Zweitens geht es um die Erfassung des langfristigen strukturellen Wandels, hier dargestellt anhand der Veränderungen in Bezug auf die Nachfrager: also um den Wandel der Branchenstruktur der Stellenanbieter. Drittens geht es dann um qualitative Veränderungen in der Nachfrage selbst: also darum, welche Qualifikationsanforderungen gestellt werden. Anschliessend sollen die drei zentralen Grössen (Konjunktur, Branchenstruktur und Ausbildungsdauer) aufeinander bezogen werden. Am Beispiel der Entwicklung in der Schweizerischen Textilindustrie wird schliesslich auf Veränderungen innerhalb einzelner Branchen hingewiesen.

1. Der Stellenmarkt als Spiegel des konjunkturellen Wandels der Arbeitswelt

Betriebe schreiben primär dann Stellen aus, wenn sie Mühe haben, genügend entsprechend qualifiziertes Personal zu finden. Im Aggregat gibt die Zahl der erscheinenden Inserate somit einen Indikator für ein Ungleichgewicht - oder genauer: einen Nachfrageüberhang - auf dem Arbeitsmarkt ab. Wie sehr die Anzahl inserierter Stellen die Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt ausdrückt, zeigt Abbildung 1.

Abbildung 1: Anzahl inserierte Stellen und Arbeitslosenquote
Log. Skala; indexiert Mittelwert =100

Die Darstellung zeigt, dass sich die Zahl der ausgeschriebenen Stellen weitgehend spiegelbildlich zur Arbeitslosigkeit entwickelt, welche ja ihrerseits auf ein Überangebot auf dem Arbeitsmarkt verweist. Der stellenbasierte Indikator bildet dabei das konjunkturbedingte Auf und Ab im Arbeitsmarkt um einiges präziser ab als die Arbeitslosenzahlen. Diese sind bekanntlich wegen des veränderten Meldeverhaltens wie auch wegen der Rolle der ausländischen Erwerbsbevölkerung als Konjunkturpuffer erheblich verzerrt. Für unsere Analysen verwenden wir die Gesamtzahl ausgeschriebener Stellen als Konjunkturindikator.

2. Wandel der Nachfrager: die Branchenstruktur 1950 - 2000

Eine zentrale Grösse für die Bestimmung der Nachfragestruktur auf dem Stellenmarkt ist die Zusammensetzung der inserierenden Betriebe nach Branchen. Die Branchenverteilung der inserierenden Betriebe entwickelt sich weitgehend im Einklang mit dem Wandel der schweizerischen Branchenstruktur seit den fünfziger Jahren. Deutlich rückläufig war der Anteil der Stellen in der Land- und Hauswirtschaft während gleichzeitig die sekundären Dienstleistungen stark expandiert haben. Insbesondere kommt ein wachsender Teil der Stellenangebote aus den Bereichen Finanzdienstleistung, Beratung, Planung, Bildung, Gesundheit und öffentliche Verwaltung. Beschleunigt wird diese Entwicklung in jüngerer Zeit, wo auch die Industrie als Arbeitskräftenachfrager deutlich an Bedeutung verliert. Diese langfristige strukturelle Verschiebung fasst der standardisierter Dissimilaritätsindex in Abbildung 2 zusammen. Der Index zeigt in kondensierter Form, wie stark sich die Branchenverteilung der inserierenden Betriebe gegenüber 1950 insgesamt verschoben hat.

Abbildung 2: Wandel der Branchenstruktur und Konjunkturverlauf
Branchen: Dissimilaritätsindex 1950, standardisierte gleitende Dreijahresmittelwerte
Konjunktur: Stellenzahl, standardisiert

Die Kurve illustriert dabei das Zusammenspiel zwischen Konjunkturschwankung und Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt. Wie der jeweils rückläufige Dissimilaritätsindex zeigt, ist der Strukturwandel in den beiden Krisen Mitte der siebziger sowie Anfang der achtziger Jahre deutlich gebremst worden. Gerade die moderneren Branchen haben in der Krise kaum noch aktiv Personal gesucht. Im jüngsten, 1990 einsetzenden Konjunktureinbruch ist dies nun nicht länger der Fall. Vielmehr setzt sich der Wandel der Branchenstruktur ungebremst fort. Dies verweist auf einen veränderten Charakter der jüngsten Krise. Der gesamthafte Rückgang der Arbeitsmarktnachfrage scheint diesmal gerade die modernen Branchen weniger zu betreffen, als die traditionellen. Auf der Ebene der einzelnen Branchen zeigt es sich, dass in den Krisen der 70er und 80er Jahre insbesondere das Stellenangebot im Gastgewerbe und auch in privaten Haushalten anteilmässig am meisten Boden zurückgewinnen konnte, während die relativ expandierenden Branchen in den 90er Jahren in erster Linie Beratung, Planung, EDV und die Finanzdienstleister sind.

3: Wandel der Qualität der Nachfrage: Ausbildungsanforderungen

Vor dem Hintergrund des Strukturwandels soll nun die Veränderung der Nachfrage auf dem Arbeits-markt in qualitativer Hinsicht untersucht werden. Als Massstab für das formale Ausbildungsniveau ha-ben wir die durchschnittliche Ausbildungsdauer bestimmt, die mit den Bildungsanforderungen der ausge-schriebenen Stellen einhergeht. Diese Ausbildungsdauer zeigt langfristig einen überaus deutlichen An-stieg, wie aus Abbildung 3 ersichtlich ist. Bei Konjunktureinbrüchen stagniert die Entwicklung, während mit einem Konjunkturaufschwung jeweils auch eine deutliche Zunahme der Anforderungen einher geht. Diese auf den ersten Blick erstaunliche Entwicklung (sinkende Ansprüche bei grossem Angebot an po-tentiellen Stellenbewerbern) erklärt sich selbstverständlich aus der sich mit der Konjunktur ändernden Struktur der Nachfrage. So verläuft denn die Entwicklung der verlangten Ausbildungsdauer weitgehend parallel zu derjenigen der Branchenstruktur. Auch hier zeigt sich der veränderte Charakter der Krise in den 90er Jahren, wo die Ausbildungsanforderungen nochmals beschleunigt ansteigen. Seit den 90er Jah-ren kann nicht mehr erwartet werden, dass ein vergrössertes Angebot an Arbeitskräften und eine zurück-haltende Konsumstimmung - was beides mit einem Konjunktureinbruch einhergeht - den Strukturwandel aufschiebt. Dies im Gegensatz zu den vorangegangenen Krisen.

Abbildung 3: Wandel der Ausbildungsanforderungen und Konjunkturverlauf
Qualifikationen: Durchschnittsniveau pro Jahr; standardisierte gleitende Dreijahresmittelwerte
Konjunktur: Stellenzahl, standardisiert

In einem Regressionsmodell zeigt sich der Zusammenhang zwischen der Ausbildungsdauer und der Branchenstruktur sehr deutlich (Tabelle 1). Zugleich zeigt die Tabelle die gesamthafte "Rangfolge" der einzelnen Branchen in Bezug auf die Ausbildungsanforderungen. Im Gastgewerbe und in privaten Haus-halten werden durchschnittlich die geringsten Anforderungen an eine formale Ausbildung gestellt, d.h. die Mehrzahl der Stellen sind für Arbeitnehmer ohne einschlägige Ausbildung zugänglich. Am höchsten sind die Ansprüche im Bereich Beratung und Planung und in der Maschinenindustrie. In der Maschinen-industrie ist dies nicht etwa eine Folge davon, dass hier ausserordentlich oft höchstqualifizierte Leute gesucht werden, sondern dass über die gesamte Erhebungsperiode kaum je unqualifizierte Stellen ange-boten werden. Die Berufslehre gehört hier grundsätzlich zur Minimalanforderung. Dies ganz im Gegen-satz etwa zur Textilindustrie, die wir später noch genauer ansehen werden.

Der statistische Zusammenhang mit der Konjunktur kehrt sich erwartungsgemäss gegenüber der grafi-schen Darstellung um und wird bei Kontrolle der Branchenstruktur negativ. Darüber hinaus zeigt sich aber immer noch ein deutlicher linearer Trend. Dies weist darauf hin, dass die steigenden Ausbildungs-anforderungen nicht nur auf den Wandel der branchenmässigen Zusammensetzung der Arbeitskräfte-nachfrager zurückgeht, sondern dass sich zusätzlich innerhalb der einzelnen Branchen insgesamt die Gewicht hin zu qualifizierteren Stellen verschoben haben.

Tabelle 1: Einflussgrössen für die durchschnittliche Ausbildungsdauer
Branchenstruktur      
Gaststättengewerbe Referenz Unterricht, Forschung 0.134
Haushalt -- Chemie 0.137
Beherbergungsgewerbe 0.021 Ausbaugewerbe 0.158
Nahrungsmittelhandel 0.052 Finanzdienstleistungen 0.164
Persönliche Dienstleistungen 0.068 Metallindustrie 0.172
Textilindustrie 0.069 Handel 0.179
Landwirtschaft, Energie 0.072 Bau 0.195
Heime, Wohlfahrt 0.082 Öffentliche Verwaltung 0.207
Verkehr 0.090 Elektro-, Uhrenindustrie 0.216
Nahrungsmittelindustrie 0.092 Haustechnische Anlagen 0.219
Gesundheitswesen 0.098 Beratung, Planung, EDV 0.227
Holz, Papier, Grafik 0.133 Maschinenindustrie 0.304
Konjunktur -0.063    
linearer Trend 0.154    
lineare Regression; abhängige Variable: Ausbildungsdauer in Jahren; Beta-Werte; p < .001.

Im Zeitverlauf steigende Ausbildungsanforderungen resultieren dann, wenn:

  • Branchen, die durchgehend geringe Anforderungen stellen, deutlich weniger Arbeitskräfte nachfra-gen. Herausragendes Beispiel sind hier die Privathaushalte.
  • Branchen, die durchgehend hohe Anforderungen stellen, expandieren. Beispiele sind Bera-tung/Planung/EDV aber auch die Öffentliche Verwaltung.
  • Innerhalb einer Branche eine Verschiebung hin zu anspruchsvolleren Tätigkeiten stattfindet. Ein Trend, der in allen (!) Branchen (einzige Ausnahme: Privathaushalte) zusätzlich zu einer der obigen Entwicklungen auszumachen ist. Betont werden soll, dass der Umstand, dass eine Branche schrumpft, keine Rückschlüsse auf die Entwicklung der jeweiligen Ausbildungsanforderungen zu-lässt. Dieser Punkt soll abschliessend am Beispiel der Textilindustrie verdeutlicht werden.
4. Stellenangebot und Ausbildungsanforderungen in der Textilindustrie

Anfangs des 20. Jahrhunderts war die Textilindustrie der wichtigste Produktionsbereich in der Schweiz überhaupt. Der zweite Weltkrieg führte hier zu einem gewaltigen Einbruch, doch auch noch in den 50er Jahren war sie - zumindest in einigen Ostschweizer Kantonen - eine sehr bedeutende Arbeitgeberin. Seither hat die Textilindustrie dramatisch an Bedeutung verloren und sucht in den 90er Jahren kaum mehr Arbeitskräfte im Inland. Abbildung 4 zeigt die Entwicklung in der Arbeitskräftenachfrage der Textilindustrie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Während dieser Industriezweig früher vor allem wenig qualifiziertes Personal beschäftigte, steigt seit Mitte der 80er Jahre das durchschnittliche Ausbildungsniveau für die wenigen verbleibenden Stellen ausgesprochen stark an. Die Kombination von technologischer Erneuerung und Auslagerung von Produktionsstätten ins Ausland äussert sich hier darin, dass in der Schweiz nur noch wenige Leute gesucht werden, wenn, dann aber fast ausschliesslich qualifizierte Arbeitskräfte.

Abbildung 4: Stellenangebot und Ausbildungsanforderungen in der Textilindustrie
     
 

 

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