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Alexander Salvisberg, 2004:
Muster geschlechtsspezifischer Segregation
im Wandel: Frauen- und Männerstellen im Gastgewerbe 1950 -
2000
pp. 9-30 in Nollert, Michael, Hanno Scholtz & Patrick Ziltener
(Hg.), Wirtschaft in soziologischer Perspektive. Diskurs und empirische
Analysen. Münster: Lit-Verlag.
Textauszüge:
Einleitung
Am 12. März 1951 wird für einen "Landgasthof"
im Emmental eine "treue und freundliche Tochter zum Servieren"
gesucht. Ihr wird eine "gute Behandlung" zugesichert.
Ein paar Tage später sucht ein "Grossrestaurant"
in Bern einen "erfahrenen Oberkellner mit internationaler Schulung"
als "Leiter einer Restaurationsabteilung". In geradezu
klischeehafter Weise reproduzieren diese beiden Stellenangebote
den Charakter eines Arbeitsmarktes, der Frauen und Männern
qualitativ höchst unterschiedliche Stellen zuweist. Doch inwieweit
lässt sich dies für die weiblich dominierte Branche des
Gastgewerbes verallgemeinern? Und: wie entwickelt sich die geschlechtsspezifische
Segregation über die Zeit? Wie wirkt sich der strukturelle
Wandel, hin zu durchschnittlich anspruchsvolleren Stellen, auf die
Geschlechterverteilung aus? Verliert die stereotype Zuordnung von
Positionen angesichts der wachsenden Arbeitsmarktintegration von
Frauen und des breit rezipierten Chancengleichheitsideals an Bedeutung?
Würden die beiden zitierten Inserate auch Ende des 20. Jahrhunderts
in dieser Art formuliert?
Im Folgenden wird versucht, auf die Frage sich wandelnder Segregationsmuster
im Gastgewerbe eine Antwort zu finden. Im Gegensatz zur Mehrzahl
der Untersuchungen in diesem Bereich wird dabei aber nicht das Ergebnis
des geschlechtsspezifischen Segregationsprozesses analysiert, sondern
ein zentraler Aspekt dieses Prozesse selbst: die Nachfrage auf dem
Arbeitsmarkt. Als Datengrundlage dienen die in den Stelleninseraten
von 1950 bis 2000 formulierten Geschlechterpräferenzen der
Arbeitgeber. Diese werden in Beziehung zur Qualität der angebotenen
Stellen gesetzt und im Zeitverlauf analysiert.
........
Zusammenfassung und Diskussion
Beim Gastgewerbe handelt es sich um einen Wirtschaftszweig, bei
dem die Mehrheit der Mitarbeitenden weiblich sind und sich entsprechend
auch die Grosszahl der Stellenangebote an Frauen richten. Diese
ausgeprägte horizontale Segregation wird über die zweite
Hälfte des 20. Jahrhunderts abgeschwächt, jedenfalls was
die in den Stelleninseraten ausgedrückten Präferenzen
der Arbeitgeber anbelangt. Immer noch bilden jedoch explizit männlich
ausgeschriebene Stellen eine deutliche Minderheit und immer noch
werden wesentlich mehr Stellen explizit weiblich ausgeschrieben
als im Durchschnitt aller Branchen. Trotz der reduzierten Geschlechtsspezifik
kann also auch am Ende des 20. Jahrhunderts keineswegs von einem
ausgeglichenen Verhältnis gesprochen werden.
Das Gastgewerbe ist nicht nur eine typische "Frauenbranche",
sondern auch eine "Tiefqualifikationsbranche". Für
die Mehrheit der Stellen, die weder Qualifikationen verlangen, noch
mit formaler Autorität oder dispositiver Verantwortung verbunden
sind, werden denn auch meistens weibliche Arbeitskräfte gesucht.
Weitaus häufigstes Beispiel dafür ist natürlich die
Serviertochter. Auch heute werden hierfür nur selten ausgebildete
Servicefachangestellte gesucht und nur eine - allerdings wachsende
- Minderheit der Stellenangebote wird geschlechtlich neutral formuliert.
Das eingangs zitierte Inserat aus dem Jahre 1951 könnte also
auch am Ende des 20. Jahrhunderts erscheinen. Aus der "Tochter"
wäre unterdessen allerdings eine "Servicemitarbeiterin"
geworden, und statt "treu und freundlich" müsste
sie nun "aufgestellt und freundlich" sein und schliesslich
würde ihr statt "guter Behandlung" vielleicht ein
"Studio in separatem Haus" zugesichert (so etwa im Jahr
1995 in Grindelwald).
Im Zuge des gastgewerblichen Strukturwandels entstehen mehr anspruchsvolle
Stellen, sowohl was die Ausbildungsvoraussetzungen anbelangt, als
auch in Bezug auf die mit einer Funktion verbundene Verantwortung.
Während die anspruchsvollsten und attraktivsten Stellen schon
immer für Männer offen standen - oder gar für sie
reserviert waren - setzt in den 80er Jahren eine Entwicklung ein,
die weiblichen Arbeitskräften zunehmend den Zugang auch in
bessere Positionen ermöglicht. Die Wahrscheinlichkeit hat deutlich
zugenommen, dass ein Inserat für eine Vorgesetztenposition
wie das zitierte aus dem Jahre 1951 unterdessen geschlechtsneutral
formuliert würde. So sucht etwa ein Hotel in Brienz im Jahr
1999 "eine/n Fachmann/frau" als "Chef de partie (männlich
oder weiblich)".
Entscheidend für die Entwicklung des gastgewerblichen Stellenmarktes
ist der stark wachsende Anteil an geschlechtsneutral formulierten
Stellen. Damit wird nicht nur die horizontale Dimension der Segregation
abgeschwächt, sondern auch die vertikale Segregation schmilzt,
da es sich häufig gerade um anspruchsvollere Stellen handelt,
für die kein Geschlecht vorgegeben ist. Insgesamt ist es ja
nicht so, dass in den "labor queues" die Frauen nach vorne
rücken, respektive die Männer weiter hinten rangiert würden.
Viel eher verliert das Geschlecht als Kriterium an Bedeutung. Wie
stark für diese Entwicklung ein sich wandelndes kulturelles
Leitbild verantwortlich ist oder inwiefern sich hier in erster Linie
die Arbeitsmarktsituation spiegelt, die es für ambitionierte
männliche Arbeitskräfte zunehmend unattraktiver macht,
eine Karriere im Gastgewerbe zu verfolgen, kann mit den vorliegenden
Daten nicht beantwortet werden. Zweifellos dürfte aber der
wachsenden weiblichen Integration ein selbstverstärkender Effekt
zukommen, in dem Sinne, dass einer generalisierenden statistischen
Diskriminierung der Boden entzogen wird. Dass Frauen auch Vorgesetztenpositionen
einnehmen, wird - jedenfalls im Gastgewerbe - zunehmend zur Selbstverständlichkeit.
Das hier präsentierte Ergebnis einer andauernd starken weiblichen
Dominanz bei den wenig anspruchsvollen und arbeitsmarktlich unattraktiven
Stellen einerseits und einer zunehmenden geschlechtlichen Öffnung
bei den Kaderpositionen andererseits, entspricht gut der These einer
Polarisierung weiblicher Arbeitskräfte wie sie Hakim (1996)
formuliert. Die Ursachen für diese Entwicklung verortet die
Autorin allerdings nicht auf der Seite der "labor queues",
sondern bei den "job queues", d.h. nicht bei den Arbeitgebern,
sondern in unterschiedlichen Lebensentwürfen der weiblichen
Stellensuchenden. Einer Minderheit von arbeitsweltorientierten Frauen
steht eine Mehrheit von Frauen gegenüber, die ihr Leben primär
an Haushalt und Familie orientieren und deshalb keine oder nur eine
beschränkte Arbeitsmarktintegration suchen. Die nach wie vor
unterschiedliche Rangierung von Frauen und Männern in den "job
queues" - im Falle des Gastgewerbes vor allem bei den wenig
attraktiven Stellen - wird damit allerdings nicht erklärt.
Es sei denn, man nehme an, dass die Arbeitgeber in ihren expliziten
Geschlechterpräferenzen die Jobwünsche der Arbeitnehmerinnen
vorwegnehmen. Entsprechend wirft unsere Untersuchung der arbeitsmaktlichen
Nachfrage ein etwas anderes Licht auf die Frage nach der Geschlechtertrennung
in der Arbeitswelt, als Studien, die sich auf das Ergebnis des Segregationsprozesses
konzentrieren.
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